Die deutsche Bundesvereinigung Logistik (BVL) rechnet mit zunehmenden Störungen in den Lieferketten und sinkender Verfügbarkeit wichtiger Rohstoffe.  Laut Vorstands-Chef Wimmer könnte die Situation «in den nächsten Monaten deutlich schlimmer werden», als bislang angenommen.

 

Aufgabe von Branchen-Verbänden ist zumeist, Optimismus zu verbreiten und gute Lösungen parat zu haben, um zumindest gangbare Auswege und Perspektiven aufzeigen zu können. Damit tut sich jetzt auch der krisenerfahrene Logistikverband schwer. Einer «aktuellen Stunde» in Duisburg zufolge wären alle bisherigen Prognosen noch deutlich zu optimistisch – was nicht «nur » mit dem Krieg in der Ukraine zu tun habe, sondern mit dem Zusammentreffen mehrerer Krisen zur gleichen Zeit, sowie den neuerlichen Lockdowns in China.  «Die Zahl der Schiffe, die vor Shanghai auf die Entladung waren, hat eine ganz neue Dimension. Allein das wird die Wirtschaft massiv belasten», so Dorothea von Boxberg, Vorstandsvorsitzende von Lufthansa Cargo.

Auch Josip T. Tomasevic, Senior-Vize bei der AGCO Corporation (Fendt), warnt: «Da kommt noch eine Welle auf uns zu. (…) Die Lieferketten kann man zurzeit nicht kontrollieren. Das werde enorme Dimensionen annehmen «und Verzögerungen, die wir so noch nicht kennen», ergänzt DHL-CEO Tim Scharwath (Global Forwarding Freight). 

BVL-Marktexperte Christian Kille vergleicht den Effekt mit einem Stau auf  der Autobahn: «Selbst wenn der Schiffsstau vor Schanghai sich auflöst und die meisten Fabriken in China aus dem Lockdown gehen, wird es viele Monate dauern, bis sich die Lieferketten normalisieren. Das ist wie bei einem Stau auf der Autobahn, der sich weiterverbreitet und aufschaukelt, obwohl der eigentliche Grund für den Stau sich längst aufgelöst hat. Bis die Hinterlandverkehre wieder funktionieren und die Leercontainer den Weg zur nächsten Beladung gefunden haben, dürften Monate vergehen. Das Beispiel USA zeigt, dass das Nadelöhr einfach auf die Landseite wandert.

Zwar seien irgendwann die Schiffe leer, aber die Hafenflächen voll. Der Schiffsstau werde sich zunächst auf die europäischen Häfen verlagern, «weil die den Ansturm nach der Pause nicht bewältigen können.» Die Verzögerungen durch den Stau im Suezkanal durch die Evergiven und die kurzzeitig wegen Corona geschlossenen Terminals in China im Frühjahr und Mitte 2021 konnten nach Zahlen des Kiel Trade Indicator wohl bis heute nicht aufgeholt werden. 

Eine «wirtschaftliche Vollbremsung» konstatiert Stephan Wohler, Vorstand bei Edeka in Minden-Hannover, für den Lebensmittelbereich. Nach einem guten 2021 führten die rasant steigenden Preise zu Nervosität bei den Verbrauchern und eine Konzentration auf Preis-Einstiegsprodukte statt auf bekannte Marken. 

Das habe Folgen auch für  Infrastrukturprojekte, sagt Agiplan-Geschäftsführer Christian Jacobi. «Rohstoff-Mangel und Kostensprünge sorgen dafür, dass geplante Bauvorhaben nicht  realisiert werden oder sich verzögern. (…) Kriegsfolgen und Kompensations-Programme aufgrund der Corona-Pandemie werden dazu

führen, dass Finanzierungstöpfe kleiner oder zeitlich gestreckt werden. Viele Unternehmen werden aufgrund des Mangels an Vorprodukten und Rohstoffen sowie der hohen Energiekosten wieder in Kurzarbeit gehen. Insgesamt steht Deutschland vor grossen Herausforderungen.» 

Der BVL-Vorstands-Chef Thomas Wimmer: «Die Einschätzungen unserer Vorstandsmitglieder aus Industrie, Handel und Logistikdienstleistung gehen deutlich über die bisher veröffentlichten Prognosen hinaus. Wimmer:  «Wenn die Beziehungen zu Reedereien und Speditionen langfristig gepflegt wurden und so noch Kapazitäten verfügbar waren, sind sie weniger stark betroffen. Aber letztendlich fahren alle zurzeit nur auf Sicht.» 

 

www.bvl.de