FCC CERN Fraunhofer IML LHCVorgängermodell LHC

Während die Welt an Krisen, Klimafragen und «KI» laboriert, arbeitet das Fraunhofer IML als Teil eines grossen Puzzle weiter an dem Logistikkonzept, mit dessen Hilfe das Milliardenprojekt des neuen Teilchenbeschleunigers «Future Circular Collider» am CERN in Genf realisiert werden soll. Ein modulares Fahrzeugkonzept und ein Simulationsmodell sichern die Planung ab.

In San Franzisco fand im Juni eine letzte Gesamtkonferenz der Beteiligten aus aller Herren Länder statt, bevor anhand einer Machbarkeitsstudie ab 2025 darüber getagt wird, ob das Projekt in dieser Form realisiert werden kann. Was unter anderem natürlich auch eine finanzielle Frage für das bislang auf rund 15 Mrd. Euro taxierte Vorhaben ist.

 

Kontrollraum. Fotos: CERN/Drew Bird

 

Am Fraunhofer IML sind Gerd Kuhlmann und Benedikt O.Müller mit dem Logistikkonzept und der Supply Chain für die Tausenden von Komponenten, Beschleuniger-Magnete und Cryo-Elemente befasst, die in dem unterirdischen Kreisverkehr installiert werden sollen. Nachdem das Konzept für die externe Anlieferung der über 5400 Magnete – das Gros per Strassentransport – geklärt ist, geht es derzeit um die raumsparende Verbringung im Tunnel. Dessen Abmessungen wurden im Vorfeld mit 5,5 m Durchmesser (zum Vergleich der Gotthardstrassentunnel: 5,9 m) definiert. Dabei sind auch redundante Systeme, Komponenten und Sicherheitsmassnahmen unter extrem beengten Platzverhältnissen zu berücksichtigen.

 

Grafik: CERN/IML

 

Für Logistiker, die stets um die «richtige Menge zur richtigen Zeit am richtigen Ort» bemüht sind, klingt ein «Teilchen-Beschleuniger» allemal interessant. Allerdings geht es bei dem gigantischen Elektronen-Katapult nicht um die Feinverteilung von Waren, Artikeln und Versorgungsgütern, sondern um physikalische Grundlagenforschung. Am Conseil Européen pour la Recherche Nucléaire in Genf bringen tonnenschwere Magnete auf einer bislang 27 km langen Kreisbahn, die in 100 m Tiefe unter Genf und den Ausläufern des Jura verläuft, in einem «Large Hadron Collider» kleinste Elementar-Teilchen auf nahe Lichtgeschwindigkeit, um sie in einer «Frontal-Kollision» aufeinanderprallen zu lassen. An hausgrossen Detektoren werden die Trümmer dieses Crash-Szenarios ausgeschleust, um dem Super-GAU - sozusagen dem «Urknall» im Kleinen - nachzuspüren, der am Anfang des Universums stand.

 

Grafik: Kuhlmann/IML

 

Nach der Entdeckung des Higgs-Bosons (das ein wichtiger Bestandteil zur Erklärung von «Masse» und «Schwarzen Löchern» war), soll ab 2045 eine neue Beschleunigerröhre, der «Future Circular Collider», auf einer über 91,2 km langen Umlaufstrecke, die über acht Vertikalschächte mit der Oberfläche in Verbindung stehen, in durchschnittlich 200 m Tiefe neue Dimensionen im Bereich der Elementar-Teilchen erschliessen. Mit der Wucht von 100 TeV (Teraelektronenvolt) könnten sie den Nachweis weiterer Elementarteilchen erlauben, die laut Theorie existieren müssen, um die Welt zu erklären.

Trümmer soll es bei der Einrichtung des neuen Teilchen-Katapults nicht geben. Ein modulares Fahrzeugkonzept soll Personen- und Materialtransporte unter Tage mit einem autonomen Navigationssystem übernehmen, das die Konturen des Tunnels auf den wiederkehrenden Etappen per LIDAR-Scanner im Auge behält und auf ausreichende Sicherheitsabstände achtet, während Barcodeleser kontinuierlich Positionsmeldungen abgeben und die bodengebundene Spurführung sichern.

 

 

Weil die hochsensible Fracht der Supermagnete empfindlich auf jede Art von Erschütterungen reagiert, müssen Bremswege penibel eingehalten werden, Achsen und Drehgestelle der Trailer-Konstruktion schwingungsgedämpft in der Lage sein, auch kleinere Unebenheiten aufzufangen. Konventionelle Krantechnik hat in der Röhre keinen Platz. Vor Ort müssen kompakte Hubvorrichtungen in Form von Hebetischen die 13,4 m langen und 60 t schweren Baugruppen auf kleinstem Raum millimetergenau positionieren.

Verzögerungen durch Corona und das internationale Weltgeschehen habe es bislang nicht gegeben, so Kuhlmann. Vorteil des derzeitigen Stands der Dinge sei, dass im jetzigen Stadium noch nicht alles bis ins letzte Detail fixiert sei. Durch eine Simulation der Prozessabläufe bei den Material-Anlieferungen, die am Schreibtisch von Benedikt O. Müller entstand, seien Änderungen einzelner Parameter, Skalierungen und voraussichtliche Auswirkungen auf die Transportabläufe schneller durchzukalkulieren.

 

FCC-Week CERN Fraunhofer IML DiskussionDiskussion an der FCC-Week / Foto: Drew Bird

 

Von etwaigen «Schwarzen Löchern», die angesichts der enormen Energien auftauchen könnten, die bei den in kommenden Dekaden vorgesehenen Crash-Experimenten kurzfristig freigesetzt werden sollen, sei bislang allenfalls spasshaft die Rede gewesen, so Benedikt Müller. «Wir konzentrieren uns auf unsere logistischen Aufgaben», so Kuhlmann.

Als «Enabler» spiele die Logistik beim Bau der neuen Teilchen-Schleuder eine durchaus prominente Rolle, so Müller. «Wenn man eine Maschine braucht, die an die 100 km lang ist, und aus Tausenden von Magneten besteht, dann geht das nicht ohne den Logistiker. Aber auch wenn wir nicht diejenigen sind, die letztlich die tatsächlichen Ergebnisse dieser physikalischen Grundlagenforschung bringen, sind wir doch diejenigen, die wesentlich zum Gelingen beitragen».

Klaus Koch

 

Video und Interviews mit den Fraunhofer-Wissenschaftlern Gerd Kuhlmann und Benedikt Oliver Müller zum status quo des Future Circular Collider-Projekts 

 

 

FCC-Week CERN Fraunhofer IML San Franzisco

 

Vorläufige Zeitleiste

  • 2025: Fertigstellung der Machbarkeitsstudie
  • 2027–2028: Entscheidungs-Phase der CERN-Mitgliedsstaaten und internationalen Partner über die Realisierung.
  • 2030: Beginn der Bauarbeiten
  • 2040er Jahre: Inbetriebnahme erster Anlagenteile (FCC-ee / Elektronen-Positronen-Collider)
  • 2070s: Komplette Fertigstellung und vorgesehene Betriebszeit von etwa 25 Jahren

 

Fragestellungen

Die Entdeckung des Higgs-Bosons führte zu neuen Fragen wie der, welche Rolle das Higgs-Boson während des Urknalls spielte und welchen Einfluss es auf die Entwicklung des Universums hatte. Das Higgs-Boson soll helfen, offene Fragen zu beantworten, die das physikalische Standardmodell nicht beantworten kann, darunter die nach der sogenannten «dunklen Materie» und dem möglichen Überschuss von Antimaterie. Szenarien deuten auf die Existenz neuer, schwererer Teilchen hin, die ausserhalb der Reichweite des bis dato genutzten Large Hadron Collider (LHC) liegen und den Einsatz höherer Energien erfordern. Andere deuten auf die Existenz leichterer Teilchen hin, die nur sehr schwach mit Teilchen des Standardmodells interagieren und deren Nachweis die Bearbeitung enormer Datenmengen und extrem schwacher Signale erfordert.

 

Energiebedarf

Der Stromverbrauch des FCC soll bereits in der Anfangsphase zwischen 1 und 1,8 TWh/Jahr schwanken. Dank laufender Forschungs- und Entwicklungsbemühungen soll er aber um 30–40 % niedriger sein, als mit heute aktuellen Technologien möglich wäre. Das FCC-Studienteam arbeitet außerdem mit regionalen Behörden zusammen, um Möglichkeiten zu ermitteln, wie ein Teil dieser Energie zum Heizen in lokalen Industrien und öffentlichen Infrastrukturen wiederverwendet werden kann.

 

 

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