Die Branche macht in Deutschland rund 330 Mrd. Euro Umsatz. Aber nicht mehr der Preisdruck, sondern Digitalisierung, Automatisierung und «Decarbonisierung» sind die Hauptthemen beim 40. Logistikkongress in Berlin. Der Bundesverkehrsminister ist nicht zu sehen – aber «the rise of the machines» in aller Munde.

Zur Eröffnung am Mittwoch formuliert Thomas Wimmer, Vorstandsvorsitzender der deutschen Bundesvereinigung Logistik, dass er den Spruch von der «roten Laterne», die das Land in Europa einnehme, schon gar nicht mehr hören könne. Transportsektor und Lieferketten seien zu neuer Dynamik aufgefordert – und dazu auch imstande. Gern hätten die fast 2000 Teilnehmer Volker Wissing zu Gesicht bekommen. Doch der Minister für Verkehr und Digitales lässt sich nicht blicken. Wimmer zitiert den TV-Komiker Stefan Raab, der schon mal sagte: «Vorn ist da, wo sich keiner auskennt». Der Unterschied sei: «Wir wissen, wo vorn ist! ». Offenbar sei zuviel Fachkompetenz vor Ort versammelt, so der BVL-Chef leicht bissig. Zu Fragen zur Maut und dem Rückstand der digitalen Infrastruktur wolle sich der oberste Verkehrshüter wohl nicht auslassen. Statt Wissing wird Sarah Ryglewski, Staatsministerin im Bundeskanzleramt willkommen geheissen.

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148 Fachbeiträge betonen den Stellenwert des Kongressgeschehens im InterConti und Schweizerhof im Kontrast zu einem keineswegs zufällig und schnell noch in der Woche zuvor aufgeploppten «Summit» in Düsseldorf.

Trotzdem kommt auch der Logistikkongress nicht umhin, die Bedeutung des «networking» zu unterstreichen, um das Logistikgeschehen voranzutreiben; und soll deshalb auch selbst in Bewegung bleiben: In 2024 wird der Kongress ins Estrel umziehen, und gibt sich – ob wirklich nötig oder nicht – als «BVL Supply Chain CX» und mit dann deutlich vergrössertem Ausstellungsbereich einen neuen Namen. Als bisher ohnehin schon mit zurückliegend bis zu 3000 Teilnehmenden einer der grössten, wenn nicht gar der bedeutendste zentrale Event im europäischen Umfeld, soll der Kongress noch «internationaler» werden.

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Mit dem Zitat eines Buchtitels «Wer sagt denn, dass Elefanten nicht tanzen können» spinnt Ilse Henne, CIO und Vorstandsmitglied von thyssenkrupp Materials Services, den Faden weiter. Logistiknetzwerke seien «überlebenswichtig» geworden, weil die Vernetzung der Teilnehmenden die Supply Chains widerstandfähiger mache. Viele Unternehmen (und ihre Chefs) wüssten «über TIER2» und ihren jeweils eigenen Beitrag in der Lieferkette hinaus oft wenig Bescheid. In einer Zeit, in der alles in Bewegung komme, sei dies kritisch zu sehen. Die Vorhersehbarkeit von Krisensituationen habe sich drastisch reduziert, der Verlust von «Kausalitäten», von Aktion und mangelnden Reaktionszeiten sei dramatisch. Im Getümmel seien «Rauschen» und «Signal» nicht mehr voneinander zu unterscheiden. «Wir brauchen mehr Transparenz», so die thyssenkrupp-Vorständin. «Netzwerke (statt Einzellösungen) werden hier immer im Vorteil sein».

Statt rein technischer, künstlicher Intelligenz sei – siehe «networking» – hier auch wieder Intuition gefragt. «Wir müssen die Zukunft aufgrund menschlicher Kompetenz vorausahnen können». Einfach nur Stammdaten sammeln und dann digitalisieren reiche nicht aus. Auch die US-amerikanische Methode, riesige Kapazitäten aufzubauen, sei im Prinzip untauglich, da sie zu hohen Bestandhaltungskosten führe. Stattdessen sei «Forward Sensing» gefragt. Die Unsitte, im Grunde sogar an Intransparenz zu verdienen, weil man dadurch dem Mitbewerber voraus sei, müsse ein Ende haben. «Darüber muss ich nochmal nachdenken», räumte Wimmer angesichts mancher Geschäftspraktiken von Branchenteilnehmern humorvoll ein.

Erst die Verknüpfung von Daten, Wissen und Kontext führe zu einer tatsächlichen «KI», indem sie dann auch das Umfeld ihrer Tätigkeit begreife und in der Lage sei, auf Veränderungen zu reagieren. Alles andere sei lediglich mathematisch vorausschaubares, maschinelles Lernen, so Michael ten Hompel, Geschäftsführender Leiter des Fraunhofer IML, Mitinitiator der «Open Logistics Foundation» und «Spiritus Rektor» der Logistikbranche. Er seinerzeit zitiert Sam Altman, den Gründer einer Open AI Logistics Foundation, der schon mal geunkt hatte, dass die «Artificial Intelligence» wohl zum «Ende der Menschheit» führen werde. Aber in der Zwischenzeit werde es «grossartige Unternehmen geben».

Autor: Klaus Koch

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