Was trotz Voranschreiten der Elektromobilität mancherorts noch Kopfzerbrechen bereitet, ist die Ladeinfrastruktur. Doch auch bei schweren Nutzfahrzeugen kommt die Energiewende voran. Scania Schweiz bringt die Sache gemeinsam mit einem bekannten Transportunternehmen in Sargans auf den Punkt.
Schwere Nutzfahrzeuge zu elektrifizieren und im täglichen Bedarf einzusetzen ist das Eine. Die dafür notwendige Energie mit der entsprechenden Ladeinfrastruktur ist das Andere. Wofür die Politik Jahre, wenn gar nicht Jahrzehnte braucht, wurde durch den Transportanbieter Käppeli Logistik in enger Zusammenarbeit mit Scania Schweiz innert Monaten geplant, realisiert und in Betrieb genommen.
Im Herbst 2020 präsentierte Scania CV AB erstmals ihre zukünftige Battery Electric Vehicle (BEV) Strategie, die mit Batteriekapazitäten von 290 kW und Reichweiten von 220 bis 300 km für den urbanen Verkehr entwickelt wurde. Schon wenige Monate später konnten Schweizer Kunden drei unterschiedliche Fahrzeugkonzepte auf Herz und Nieren testen und auf den eigenen Liefertouren erfahren, dass die E-Mobilität bei Scania bereits weit fortgeschritten und vielerorts bereits eingesetzt werden konnte.
Fotos: Scania
Im Juni 2022 präsentierte Scania dann den nächsten Schritt. Dabei bietet die neue Modellreihe bereits Batteriekapazitäten von 624 kWh an und ist in Kombination mit R- und S-Fahrerhäusern erhältlich. So beträgt die neue Ladeleistung bis zu 375 kWh, was gleichbedeutend mit einer Stunde Ladezeit für in der Regel eine zusätzliche Reichweite von 270 bis 300 km sei. So kann z.B. eine 4x2 Sattelzugmaschine mit sechs Batterien bei einer Durchschnittsgeschwindigkeit von 80 km/h mit einer kompletten Batterieladung zwischen 350 und 400 Kilometer zurücklegen.
Mike Ritter, Geschäftsführer von Käppeli Logistik in Sargans, war schon früh bewusst, dass die Elektro-Mobilität nicht nur den Personenwagen vorbehalten sein wird, sondern auch schwere Nutzfahrzeuge über kurz oder lang rein elektrisch unterwegs sein können. Daher wurde ab 2021 bei jeder Fahrzeug-Neubeschaffung überprüft, welche Nutzfahrzeuge mit einem rein elektrischen Antrieb angeschafft werden können und wo dies derzeit noch nicht rentabel umsetzbar ist. So wurde jedes Angebot akribisch geprüft und verfügbare Testfahrzeuge einem ersten Einsatz- und Härtetest unterzogen, um sich selbst ein Bild der aktuell am Markt verfügbaren Batteriefahrzeuge machen zu können. Anhand dieser Erfahrungen wurden dann auch bereits erste Battery Electric Vehicle für den eigenen Fuhrpark bestellt und in Betrieb genommen. Es wurde dabei bewusst eine möglichst kleine Batterie-Kapazität ausgewählt. Einerseits um der Nachhaltigkeit Sorge zu tragen und andererseits um die Grenzen für den Einsatz im regionalen Kippsattel-Verkehr ausreizen zu können.
Um unerwartete Überraschungen beim Einsatz der ersten BEV-Nutzfahrzeuge vermeiden zu können, wurden die Fahrer sorgsam an ihre Transportaufgaben herangeführt. Tag für Tag wurden diese intensiver und mit stetig steigenden Distanzen eingesetzt. Dafür musste eine eigene, provisorische E-Ladeinfrastruktur auf dem betriebseigenen Werkhof mit eigenem Trafo installiert werden, die dafür sorgt, dass jederzeit genügend Energie-Nachschub vorhanden ist. Je weiter der Aktions-Radius der eigenen Fahrzeuge wuchs, umso mehr wurde es den Verantwortlichen bei Käppeli bewusst, dass nicht die Verfügbarkeit von E-Lastwagen die eigentliche Herausforderung darstellt, sondern dass die BEV-Fahrzeuge je nach Einsatzgebiet und Fahrdistanzen jederzeit und über ausreichend Energie-Nachschub verfügen müssen.
Schon bald reifte der Gedanke, die erste öffentliche E-Truck-Ladeinfrastruktur in der Schweiz zu planen und umzusetzen. Denn eines war Mike Ritter schon früh klar: auf die Politik zu warten bis ein solches Projekt geplant, aufgegleist und dann auch noch realisiert würde, das dauerte ihm dann doch wohl zu lang. Folglich wurden Gespräche mit den bisherigen BEV-Fahrzeuganbietern geführt und gemeinsam nach Lösungen gesucht. Bei Scania Schweiz stiess er mit seinem Anliegen auf offene Ohren und in gemeinsamen Gesprächen wurde nach Möglichkeiten gesucht, eine eigene E-Truck-Ladeinfrastruktur zu schaffen und einen ersten öffentlichen E-Truck-Ladepark zu realisieren.
Um das Maximum aus diesem Projekt herausholen zu können und nicht bei null beginnen zu müssen, wurde in einem weiteren Schritt eine Reise ins Scania Werk Södertälje unternommen, um zum Einen das Knowhow im Scania Mutterhaus nutzen zu können und zugleich erste Testfahrten mit einem Vorserien-Scania BEV 3.0 für den Nationalen Fernverkehr mit 60t Gesamtgewicht zu unternehmen. Als krönender Abschluss wurde im Raum Malmö der erste in Schweden realisierte E-Ladepark besucht um weitere Ideen und Inspirationen für das eigene Projekt mit in die Schweiz nehmen zu können. Parallel wurde bereits mit der Planung, Baubewilligungen sowie den ersten Bauarbeiten für eine neue Trafostation begonnen.
Zurück aus Schweden ging es dann in hohem Tempo weiter, das Gehörte und Gesehene auf die eigenen Bedürfnisse anzupassen und weitere Schritte für die Realisation wie auch der behördlichen Genehmigung eines eigenen öffentlichen E-Truck-Ladeparks umsetzen zu können. Auch hier zeigte sich bald einmal, dass die Nutzfahrzeugbranche ihre Hausaufgaben in den vergangenen Monaten und Jahren erledigt hat, man jedoch bei der Lieferfähigkeit der benötigten Ladeinfrastruktur und Anschlussleistungen an das vorhandene Stromnetz auf die nächste Herausforderung stiess. So sind derzeit Lieferfristen von mehreren Monaten bei Ladeinfrastrukturen normal, wobei bei der Lieferung von Leistungselektronik oder gar Trafostationen mit bis zu 18 Monaten gerechnet werden muss.
Mit grosser Freude folgte Ende April der symbolische Spatenstich. Schon bald werden die ersten batteriebetriebenen Fahrzeuge ihre Energie in Sargans mit maximaler Ladegeschwindigkeit beziehen können.
- Details
- Geschrieben von: Klaus Koch